Martin Rabanus, Bundestagsabgeordneter
Seit ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren ist die SPD eine Partei der internationalen Solidarität. Das großartige Projekt der Europäischen Union wurde als Ergebnis der Katastrophen des 20. Jahrhunderts maßgeblich von Sozialdemokraten gestaltet und getragen. Die SPD will, dass Deutschland ein guter Nachbar und vertrauenswürdiger Partner in Europa ist. Wir denken an unsere Geschichte. Wir selbst haben viele Hilfen bekommen, denken wir hier allein an den Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg, ohne den wir sicherlich nicht das geworden sind, was wir sind: eine bedeutende Wirtschaftskraft. Die Sozialdemokratie arbeitet für ein starkes Europa. Diesem Leitsatz fühlen wir uns auch in diesen schwierigen Tagen verbunden. Wir wollen und werden Solidarität geben – und stehen weiterhin dazu. Doch wir müssen auch Solidarität und Verantwortungsbewusstsein aller anderen europäischen Partner erwarten. Wir müssen uns an dieser Stelle annähern und zusammenkommen. Es gilt zusammenzuhalten, was zusammenzuhalten ist. Nur als Gemeinschaft können wir das „Projekt Europa“ weiter nach vorne bringen – wirtschaftlich wie politisch, aber auch kulturell.
Aber noch nie seit den Römischen Verträgen war Europa in einer so tiefen inneren Krise wie heute. Vor allem für die Entwicklung in Griechenland müssen in diesen Tagen folgenreiche Entscheidungen getroffen werden. Denn Griechenland steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. In der Nacht von Sonntag auf Montag konnte eine Einigung über Maßnahmen erzielt werden, die meiner und unserer festen Überzeugung nach Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm für Griechenland rechtfertigen. Dafür muss Griechenland in den nächsten Tagen durch parlamentarische Beschlüsse die Voraussetzungen schaffen – und damit auch zeigen, dass sie es nun wirklich ernst meinen. Unser oberstes Ziel in diesen überaus schwierigen Verhandlungen war es und bleibt es, Europa zusammenzuhalten. Die Folgen eines Scheiterns wären für alle unabsehbar. Das Ziel ist deshalb der Verbleib Griechenlands im Euro. Dass darüber eine Einigung gelingen konnte, ist zwei zentralen Tatsachen geschuldet: Erstens hat die griechische Regierung ihre Bereitschaft zum Kompromiss gezeigt. Die Regeln des Euro gelten und werden durch Griechenland anerkannt. Zweitens haben auch die übrigen Euroländer Kompromissbereitschaft bewiesen, denn die verabredeten Maßnahmen enthalten neue Elemente, unter anderem ein 35 Milliarden Euro Investitionsprogramm aus europäischen Fonds, aus denen eine Milliarde als Sofortimpuls für Wachstum zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollen 12,5 Milliarden Euro aus Privatisierungserlösen der Verstärkung von Investitionen zu Gute kommen. Es soll zudem ein unabhängiger Fonds entstehen, der durch Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden unter – und das ist besonders wichtig – Supervision der europäischen Institutionen administriert wird, um zu garantieren, dass die Hilfen von uns auch wirklich da ankommen, wo sie ankommen sollen. In diesen Fonds soll staatliches Vermögen fließen, von dem erwartet wird, dass es Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro erbringt. 25 Milliarden Euro aus den erwarteten Erlösen sollen genutzt werden, um die Bankenrekapitalisierung zu finanzieren, 12,5 Milliarden Euro, um die Schuldentragfähigkeit zu verbessern und weitere 12,5 Milliarden Euro für Investitionen. Einig sind wir uns, dass es einen nominalen Schuldenschnitt in der Eurozone nicht geben kann. Er verstieße gegen die Regeln des Bailout-Verbots. Doch die Eurogruppe hat sich sehr wohl darauf verständigt, dass Griechenland weitere Schuldenerleichterungen durch Streckung der Zahlungsverpflichtungen oder längere Kreditlaufzeiten bekommen kann, wenn das Maßnahmenpaket umgesetzt wird.
Wichtig ist jetzt, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen – denn es gab einen Vertrauensbruch besonderen Ausmaßes. Die griechische Regierung ist nun an der Reihe, die Glaubwürdigkeit der Reformzusagen nachzuweisen. Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen ist deshalb die Verabschiedung von ersten Maßnahmen durch Griechenland bis zum 15. Juli. Dazu gehören die Vereinfachung des Mehrwertsteuersystems und erste Rentenreformen. Außerdem muss das griechische Parlament das gesamte im Eurogruppen-Statement dokumentierte Maßnahmenpaket akzeptieren. Dies ist auch geschehen, obwohl das Paket jetzt weiter reichende Reformen enthält als die, die noch vor wenigen Tagen im griechischen Referendum abgelehnt wurden.
Ich unterstütze daher die Aufnahme der dann notwendigen Verhandlungen über die Details eines ESM-Hilfsprogramms. Mir und meinen Kolleginnen und Kollegen ist bewusst, dass dies für die deutschen Steuerzahler wie auch für uns Mitglieder des Bundestages kein leichter Schritt ist. Wir sprechen von einem Finanzierungsbedarf in Höhe von insgesamt 82 bis 85 Milliarden Euro an Darlehen und Garantien über die nächsten Jahre. Und doch sind wir überzeugt, dass Deutschland seinen Anteil daran und seinen Beitrag für den Zusammenhalt Europas leisten kann und auch leisten sollte. Nicht zuletzt deshalb, weil nur so gewährleistet werden kann, dass der deutsche Steuerzahler tatsächlich nicht in Haftung genommen wird und die von Deutschland bis jetzt schon geleisteten Darlehen und Bürgschaften zurückgezahlt bzw. nicht benötigt werden.